Márta
Harangozó :
Marton László
László Marton ist
der Künstler schlechthin. Man kann sagen, dass es seine Bestimmung war,
Bildhauer zu werden und nichts anderes. Seine Kunst wurde nicht von
seiner Kindheit inspiriert. Weder seine Eltern noch scharfsinnige Lehrer
haben ihm diesen Weg gewiesen. Sein einzigartiges und einmaliges Talent
waren völlig ausreichend, den Lauf seincs Lebens zu bestimmen. Als Jugendlicher
hat László Marton bereits Kunst geschaffen, als die anderen Jungs zum
Spass gezeichnet oder Knetmasse zu groben Formen geknetet haben. Sein
"Hirtenknabe" aus Bronze, entstanden als der Künstler erst
17 Jahre alt war, ist bereits ein ausgereiftes Kunstwerk. Es ist weit
mehr als das realistische Porträt einer Erfahrung aus dem wirklichen
Leben. Es ist die tiefgreifende Reflexion über das Leben eines Menschen
aus der künstlerischen Distanz. Die Reife, welche die gesamte Komposition
ausstrahlt, zwingt uns dazu, es als Meisterwerk eines einzigartigen
und aussergewöhnlich begabten Künstlers anzuerkennen.
Wenn man László Martons Gesamtwerk betrachtet, sollte man diese Statue
als Bezugspunkt heranziehen, da sie bereits das "Geheimnis"
aller folgenden Werke enthält. Die natürliche Leichtigkeit und die mühelose
Festigkeit, die in ihr verkörpert sind, zeigen einen reifen Bildhauer,
der in der Lage ist, sich in jede Richtung zu entfalten.
Der Umstand, dass Martons Materialien unter seinen Händen immer gehorsam
die gewünschte Form annehmen, bedeutet jedoch nicht, dass seine Arbeit
immer ohne inneren Kampf Gestalt annimmt. Das Endergebnis - das fertige
Kunstwerk - machen glauben, es hätte ganz selbstverständlich Form angenommen,
ohne dass der Künstler darum hätte ringen müssen. Nichts liegt der Wahrheit
ferner. Wer den Künstler kennt, weiss sehr wohl, dass seine Arbeit von
grosser Anstrengung begleitet ist. Die Frische und der Zauber einer
spontanen Idee, die so typisch für László Martons Plastiken sind, und
der Eindruck, dass die ursprüngliche Idee und das Endprodukt irgendwie
gleichzeitig entstanden zu sein scheinen, ist vielleicht der beste Beweis
für sein tiefgreifendes Talent.
Die Hände des Künstlers gewöhnen sich mit der Zeit an die schwierigen
Materialien, wie auch an die schweren Werkzeuge, und seine Vorstellungskraft
passt sich der Notwendigkeit an, dass der Schaffensprozess eine Anzahl
von Stufen
durchlaufen muss. Dass László Marton darüber hinaus ein begabter Aquarellmaler
ist, ein Genre, das von der Inspiration des Augenblicks lebt, ist aussergewöhnlich.
Mehr noch, er hat zur Aquarellmalerei niemals Zuflucht wührend einer
bestimmten Phase seines Schaffens gesucht, etwa auf der Suche nach Abwechslung,
Erholung oder Trost. Aquarellmalerei hat ihn sein Leben lang begleitet.
Die hier präsentierten Werke entstammen einer Zeitspanne von mehr als
50 Jahren. Unter ihnen sind auch sogenannte grafische Studien, welche
nie lediglich Skizzen für Skulpturen waren, sondern vielmehr eigenständige
Werke eines Künstlers, der sich in der Freude des Zeichnens verliert.
Eine leidenschaftliche Liebe für das Leben war immer charakteristisch
für László Martons Arbeit. Dies kommt besonders in seinen Aquarellen
zum Ausdruck. Für ihn kann es zum künstlerischen Thema werden, in erster
Linie aber die Natur, insbesondere die sanften abwechslungsreichen und
entzückenden Landschaften von Transdanubien. Gleich welches seiner Aquarelle
man betrachtet, es ist sofort ersichtlich, dass er nie im voraus beschliesst,
was er malen wird. Sein Thema wird von der Laune des Augenblicks bestimmt,
und auch sein Stil entspringt der unmittelbaren Inspiration. Geplante
Formen und "Aquarelltechniken" sind László Marton fremd. In
seiner Kunst werden Wasser, Himmel, Bäume, Ausschnitte von Städten,
Umrisse, Formen und Gestalten in all ihrem natürlichen Reichtum zu einer
künstlerischen Vision.
Was in Wirklichkeit blau ist, kann in seiner Darstellung rot oder gelb
sein, es kann entweder in seinen Einzelheiten deutlich erkennbar oder
als verschwommene Silhouette mit kaum wahrnehmbaren Konturen erscheinen.
Büume können wie Bäume aussehen, aber auch wie eine Reihe marschierender
Lanzen. Ein Teil einer Stadt kann vertraut sein oder aber traumgleich
schwebend. Ein Aquarell kann aus einigen schnellen Pinselstrichen entstehen,
es kann jedoch auch in einem aussergewöhnlichen Farbenreichtum erstrahlen.
Es kann in allen Einzelheiten ein naher oder ferner Glanz schimmern,
das wundervolle Spiel des Sonnenscheins, es kann aber auch eine würdevolle,
erhebende Atmosphäre, bis hin zu einer Stimmung erhabener Düsternis
verbreiten.
Als schöpferischer Akt bedarf das Aquarell viel Vorbereitung. Das tatsächliche
Bild jedoch muss in wenigen Minuten entstehen. Das Aquarell gilt als
Kunst des Augenblicks. Zum guten Aquarell kann der Künstler nur durch
ausserordentliche Konzentration - durch die Magie der alles zusammendrängenden
und alles umfassenden Inspiration gelangen. Wenn wir durch die Aquarelle
László Martons stöbern, ist spürbar, dass sie Schöpfungen ein und derselben
Hand sind; dem Verstand bleibt es jedoch rätselhaft, wie sie dem Kaleidoskop
derselben schöpferischen Phantasie entspringen konnten. Es ist nicht
nur die Vielzahl der Themen, oder die einzigartige Weise Martons, mit
den Farben umzugehen, die uns staunen machen, sondern auch das Zusammentreffen
so vieler verschiedener Stile. Solche Vielfalt weist auf zwei Dinge
hin: das Aquarell hat das Potential, alles darzustellen, und Marton
geniesst es, an die Grenzen des Aquarells vorzustof3en, wobei er sich
ungehindert zwischen dessen wundervollen Extremen hin- und herbewegt.
Er tut dies nicht als Bildhauer, der auch Aquarellmaler ist, sondern
als jemand, der scheinbar einzig und allein Aquarellmaler ist; als jemand
der sein ganzes Leben diesem Genre verschrieben hat; als ein Künstler,
der nur in den Schwingungen ineinander fliessender Farben und Konturen
träumen kann. Wie ich eingangs sagte: László Marton ist der absolute
Künstler, Künstler und nichts weiter. Verstiegene ästhetische Ergüsse
oder ideologische Konzepte interessieren ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit
richtet er auf die Wirklichkeit in ihrer Natürlichkeit und Widersprüchlichkeit;
die blendende Helligkeit und die unheimliche Dunkelheit, worin der Mensch
gezwungen ist herumzutasten; die tausend Gesichter der Natur des Menschen
und der Schöpfung; die Unzahl von Dingen, die miteinander und gegeneinander
existieren.
László Marton liebt und verehrt das Leben.
Leben, erleben und durchleben. In dieser Einfachheit ist die Schönheit
der Frau für ihn immer präsent: sie verkörpert den ungebrochenen Lebensstrom.
In ihr und durch sie'kann Marton seine ganze Vitalität und seine Träume
ausdrücken. Deshalb sind Martons Frauengestalten überirdisch, gleichzeitig
aber auch real, da sie nicht frei von den kleinen Makeln des Lebens
sind.
Obwohl viele bereits mit László Martons Aquarellen vertraut sind und
diese lieben, ist diese Zusammenstellung dennoch eine Offenbarung. Wenn
der Leser, dem Marton bisher nur als Schöpfer von Denkmälern begegnet
ist, durch diesen Band blättert, einer Auswahl aus Hunderten von Bildern,
wird er wahrscheinlich den Eindruck gewinnen, dass er nun auch Marton
den Maler getroffen hat: eine sensible und lyrische Seele; ganz im Gegensatz
zum Eindruck, den seine Skulpturen nahelegen, welche oft dramatische
Darstellungen dramatischer Situationen sind. László Marton ist ein Künstler,
dessen Talent die Grenzen der Genres überschreitet und sich vollständig
und natürlich in jeder beliebigen Form zum Ausdruck bringt.
Der glückliche Umstand, dass in diesem Band auch einige jüngere Statuen
Martons enthalten sind, zeigt in geeigneterWeise, dass László Marton
Bildhauer ist, wenn wir seine Skulpturen betrachten, und Maler, wenn
uns seine Aqicarelle und Ölgemdlde entzücken.
Marton reduziert die Günste der Fortuna, lässt jedoch den Weg zu einer
freien Interpretation offen, indem er die huldvolle Dame auf einer Kugel
platziert, die ihr einiges an Gleichgewichtsgefühl abverlangt. Martons
Fortuna ist eine moderne Frau von harmonischer Schönheit und für jeden
erreichbar. Ihre Hände halten das symbolische Glücksrad. Es ist jedoch
sichtbar, dass sie es nicht benutzt, um damit zu lenken, sondern nur
andeutet, dass sie dazu in der Lage ware. Beim Anblick der ganzen Gestalt
entgeht uns fast das Symbol. Die Augen heften sich zuerst auf das schöne
und entrückt geheimnisvolle Frauengesicht, das fast realistisch ist.
Die entblössten Arme, Schultern und Brüste strahlen Sinnlichkeit aus;
die Falten des Gewandes hingegen schützen jene Körperteile, die unsere
Fantasie in Bewegung bringen könnten, als ob sie uns warnen möchten,
dass wir es nicht nur mit einer Sterblichen zu tun haben, sondern mit
einem Wesen, das in uns wohnt, wenn unser Stern erstrahlt, oder aber
ein schon fast verhasstes Wesen in unerreichbarer Ferne ist, wenn sich
der Himmel unserer Existenz eintrübt.
Der Torso ist Fortunas Zwillingsschwester. Es bleibt fast unbemerkt,
dass diese Frauengestalt keinen Kopf hat und ihre Arme abgebrochen sind.
Man hat den Eindruck, dass es vielleicht nicht der Bildhauer war, der
den sanft herabfallenden Stoff, welcher den Körper der Fortuna verhüllte,
angehoben oder teilweise entfernt hat, sondern man selbst. Der Torso
ist eines der Hauptwerke Martons. Gleich den Meistern der Antike, vermittelt
er mit Vorliebe seine künstlerische Idee durch die weibliche Gestalt.
Marton hat in seinen Werken die Frau, ja sogar DIE FRAU oft und vielfältig
verewigt. Dabei bemühte er sich immer, den Anfang und die Vollkommenheit
des Daseins darzustellen. Sein Streben erreicht in der Plastik Torso
einen unübertroffenen Höhepunkt. Egal ob Marmor, Stein oder Bronze:
Marton geht mit allen Materialien meisterhaft um. Aber er spürt auch,
dass Marmor etwas anderes ist, etwas besonderes. Er ist die höchste
Herausforderung für den Künstler. Die Körperproportionen sind wundervoll.
Das alleine w~re aber nicht genug. Der Künstler möchte die völlige Nacktheit
vermeiden, weil durch sie vielleicht die Sinnlichkeit verloren ginge.
Andererseits möchte er auch nicht, dass durchscheinende Körperformen
zu sehr aufreizen. Diese Art von unbedeckter Nacktheit könnte ein Akt
von Exhibitionismus oder ein zufälliger Akt des Augenblicks sein. Was
wir vor uns sehen ist so sehr die Vollkommenheit selbst, dass wir vergessen,
dass es nur ein Teil des Ganzen ist. Der Torso ist die ideale haben.
Dieser Jesus ist rat- und fassungslos. Er ist die treffendste Darstellung
des Menschen, die man sich vorstellen kann. Diese erschütternde und
wunderschöne Schöpfung ist eines der vollkommensten und komplexesten
Werke des Künstlers hinsichtlich der zugrundeliegenden Idee. Keine Skulptur
und kein Bildhauer könnten mehr leisten.
Im Mittelpunkt Martons Bildhauerei steht der Mensch. Modetrends kommen
und gehen. Marton besteht jedoch darauf, dass man den Menschen zeigen
muss, um eine Aussage über die Bedeutung des Lebens machen zu können
und über das immerwährende Dilemma, woher der Mensch kommt, was er ist
und was die Zukunft für ihn bereithält. Vielleicht liebt er das Portrüt
deshalb so sehr und vielleicht ist er deshalb solch ein Meister des
Portrüts. Martons Portr~t des Klaviervirtuosen György Cziffra ist ein
Meisterwerk dieses Genres. Seine Gesichtszüge sind sofort erkennbar,
und was einem Künstler nur selten vergönnt ist, ist Marton wieder einmal
gelungen: diese Statue leuchtet von innen. Das Portrüt Lennons präsentiert
einen anderen Aspekt des Wesens von Musik. In diesem Porträt steckt
aber auch viel an Prahlerei und Gesten, die den Rängen gelten. Marton
hütte Lennons Augenglüser absetzen können. Er tat dies aber nicht, mit
der Absicht, sie als künstlerisches Mittel zu verwenden, um das Rollenspiel
hervorzuheben, das
diesen ausgezeichneten Musiker charakterisiert, diese widersprüchliche
Persönlichkeit mit einem, trotz allem, gebrochenen Geist. Wer Lennon
durch Martons Brille betrachtet, wird bemerken, wie sehr sein tragisches
Ende ein StückTheatralik war.
Das Porträt von Charles, Prinz von Wales, representiert eine interessante
Periode in Martons Arbeit als Portrütkünstler. Der Künstler setzt sich
eine getreue Abbildung des Modells zum Ziel, jedoch mit einer eigenen
Note des Künstlers. Es ist das Porträt eines Mannes der um seine Verdienste
wei13 und sein Bild im Spiegel ertragen kann. Martons herausragend ausgeführte
Portrüts sind Auftragsarbeiten und moderne Interpretationen ihrer Modelle,
die ihm für gewöhnlich Modell sitzen müssen. Sie sind einerseits eine
wahrheitsgetreue Wiedergabe der dargestellten Person, strahlen aber
gleichzeitig auch die Gedanken und Ansichten des Künstlers aus. Das
Portrüt von Peter Munk ist ein ausgezeichnetes Werk, und die Art der
Ausführung erinnert an Martons Portrüt von Joszef Egry. Ein weiteres
Meisterwerk der Charakterdarstellung ist das Porträt von Lord Rothermere,
ebenso wie das weise lächelnde Porträt von Andrew Sarlós. Die Büste
von Melanie, der Frau Peter Munks, ist eine virtuose Beschwörung der
Vergangenheit mit impressionistischen Mitteln, eine traumgleiche Wiederbelebung
vergangener Jugend.
Zwei wichtige und die künstlerischen Fähigkeiten Martons auf die Probe
stellenden Aufträge seiner jüngsten Schaffensperiode sind die Statuen
von Vilmos Apor und Artúr Görgey. ~Anmerkung: Bischof Apor starb als
er im Jahr 1945 Frauen vor russischen Soldaten beschützen wollte. Artúr
Görgey war General während der niedergeschlagenen ungarischen Revolution
von 1848 gegen die Habsburger Monarchie.] Bischof Apor gehörte zu den
Geistlichen, denen jederzeit bewusst war, was ihr Glaube und die Menschlichkeit
von ihnen verlangten. Vilmos Apor wurde nicht zum Märtyrer geboren.
Ein Zufall hat ihn dazu gemacht. Es gelingt der Komposition meisterlich,
diese Aussage zu übermitteln. Apor beschützt die Ausgelieferten mit
seinem eigenen Körper: mit einer Hand wehrt er ab, mit der anderen protestiert
er gegen die Gewalt, die Dummheit und den sinnlosen Tod. Die lebhaften
Gesichtszüge Apors drücken Güte und Ausgeliefertsein aus. Der Marmorsockel
verleiht dem Verhalten Apors leider etwas Feierliches. Ein weniger prachtvolles
Postament hätte die Absicht des Bildhauers besser zur Geltung gebracht.
Görgey ist eine der umstrittensten Figuren der ungarischen Geschichte.
Letztendlich war er aber vor allem ein Sündenbock. Höchstwahrscheinlich
hat er den vernünftigsten Weg gewählt, auch wenn dieser in die Kapitulation
führte. Das ungarische Volk hingegen konnte und wollte sich nie damit
abfinden, dass es in
diesem historischen Moment bei Vilägos tatsächlich keine andere Wahl
gab als das Strecken der Waffen, sollte weiteres, sinnloses Blutvergiessen
vermieden werden. Görgey musste sich diesem schrecklichen Dilemma stellen,
traf eine rationale Entscheidung und stand zu ihr, auch um den Preis
seiner lebenslangen Ausgrenzung. Marton porträtiert nicht so sehr den
gedemütigten Feldherrn, sondern den entschlossenen und standfesten Mann,
den Politiker, der bereit ist, sein Schicksal und die ihm auferlegten
Aufgaben auf sich zu nehmen. Görgeys Pferd bäumt sich nicht auf und
es stampft auch nicht. Es steht ruhig und wohl gezügelt, in Harmonie
mit dem selbstsicheren Mann auf seinem Rücken. Marton wirft alle Vorurteile
über den Haufen. Er porträtiert Görgey so wie wir ihn akzeptieren müssen,
ob es uns gefällt oder nicht, ohne Illusionen.
Im Laufe seiner Karriere hat László Marton viele verschiedene Statuen
geschaffen. Es gab jedoch vermutlich nie eine Periode, die vielschichtiger
und reichhaltiger war als die gegenwärtige. Im Vollbesitz des Reichtums
seiner Geschicklichkeit und Erfahrung gelingt es Marton, die Vollkommenheit
in allem festzuhalten, was er berührt. Er ist ein Günstling Fortunas,
der nichtsdestotrotz alles in seiner Macht stehende daransetzt, damit
wir ihn als Künstler würdigen, der nicht zufällig, sondern aufgrund
seiner eigenen Anstrengung und wegen seiner ausserordentlichen Begabung
erfolgreich geworden ist.
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